Auf zum Lyrikfest!
Die Bahn ist immer für eine Überraschung gut – und das Internet umso mehr. Und natürlich ist es auch eine Herausforderung, per Auto anzureisen. Aber alle schrägen Entwicklungen der Anreise konnten nicht verhindern, dass sich wieder am 1. Wochenende im September Lyrikfreunde in Marga-Gartenstadt trafen, um über Literatur, Lyrik und ihren Traum vom Leben zu reden.
Begegnungen
In diesem Jahr standen die Gespräche verstärkt unter dem Blickwinkel der aktuellen Ereignisse. Wir alle fragten uns: Wie bleiben wir sprachfähig, wie helfen wir vor allem Heranwachsenden dazu, sprachfähig zu werden, Kunst als Freude und als Entlastung zu erleben, als eine Bereicherung in jeder Lebenslage.
Natürlich gab es angesichts der Förderung von literarischen Projekten in einer Gegend, in der wenig „Reiche“ leben, in der jeder Mensch, der sich dem Wort widmet einen eigenen Hoffnungsstern darstellt, viel Kritik an der derzeitigen Verteilung der Gelder, an absurden Regelungen, wie: Eine Gruppe kann erst ab … Teilnehmern gefördert werden. Angesichts der Zahlen, die teilweise in den Dörfern und in der Region leben und ansprechbar sind, eine absurde Forderung. Und hat man denn bei nur 6 Teilnehmern etwa weniger Vorbereitung als bei einer größeren Gruppe? Kritik wurde diskutiert, nach Lösungen gesucht.
Dazu trugen die Autoren zwischen den Diskussionsrunden neue und alte Texte vor, stritten und befragten sie Texte und vor allem einander. Auch wenn nur wenig „echtes“ Publikum gekommen war: Die Gespräche hätten nicht intensiver sein können, die Begegnungen nicht reichhaltiger. Fazit: wir wollen weiter miteinander reden, wir wünschen uns Gespräche mit all denen, die wir noch nicht kennen, wollen gemeinsame (literarische) Wege suchen, die Zukunft gestalten.
Wir waren wie immer wunderbar versorgt von den Aktiven in der Begegnungsstätte Marga und gingen am Abend beschenkt auseinander.
Rückreise mit Begegnungen der anderen Art
Für mich hatte der Tag einen sehr speziellen Nachklang auf der – wiederum aufregenden – Zugfahrt nach Hause: In Torgau stiegen zahlreiche Besucher des Tags der Sachsen zu. Unter ihnen ganz offensichtlich Fußballfans der unterschiedlichsten Vereine (man sieht dem normalen Bürger das zumeist nicht an …). Aus für mich unbekannten Gründen gerieten zwei der Fans aneinander. Die Lage verschärfte sich. Zwei Männer schalteten sich ein, deeskalierten die Lage, man kam ins Gespräch. Dabei hätte es bleiben können. Leider hatte aber wohl einer der Fans andere Gleichgesinnte aus dem Zug per Handy herbeigerufen. Die drängten sich nun durch den Gang und waren sehr daran interessiert, ihren „Feinden“ zu zeigen, dass sie die Stärkeren sind. Wohlgemerkt: in einem überfüllten Zug mit Familien, Paaren, Alleinreisenden, vor allem auch zahlreichen Kindern.
Völlig fixiert auf die Gegenüber, die sie meinten bekämpfen zu müssen, waren mindestens zwei der Gruppe kaum noch für beruhigende Worte zugänglich. Aber es gab eben auch die Anderen: ruhige, beherzte Menschen, vornehmlich zwei Männer und eine Frau, die sich nicht provozieren ließen, auch nicht von Schlägen, die die Gruppen auseinander hielten, die sich auch von einer blutigen Nase nicht zu Aggressionen hinreißen ließen.
Interessant daran, dass es überhaupt nicht um Inhalte ging. Die gegnerischen Seiten hätten auch für grüne und gelbe Gartenzwerge stehen können. Der Inhalt spielte keine Rolle. Es ging um die anderen Gruppe, die feindliche Begegnung, um das Ausleben der Aggression. Nicht um ein politisches oder sportliches Programm.
Der Zug hielt. Die „Feinde“ mussten den Zug verlassen. Die Polizei nahm Protokolle auf. Und die Passagiere kamen ins Gespräch. Man kam sich auf einmal nahe. War sich einig darin, wie idiotisch es war, sich hier im Zug wie ein Horde testosteronesteuerter Affen zu benehmen, die den anderen lediglich zeigen muss, wer den längeren … usw.
Und in den Gesprächen wurde immer deutlicher: Wir brauchen das Reden miteinander, auch wenn es dieses Verhalten gibt. Und wir brauchen berherzte Menschen, wie die, die eingeriffen haben ohne sich provozieren zu lassen. Dann kann auch eine brenzlige Situation sich wieder entspannen. Was wir alle in dieser Situation nicht brauchten: Den Verweis auf alte Geschichten, möglichst noch mit Jahreszahl. Es hätte möglicherweise die ohnehin gefährliche Lage verschärft.
Mein Weg ist der der Sprache. Andere haben gelernt per Muskelkraft Enthemmte voneinander fern zu halten. Wenn jeder mit seinen Möglichkeiten das tut, was er kann, wird diese Gesellschaft bunt und lebenswert sein.
Hat dies auf Mesalinas Blog rebloggt und kommentierte:
Bewegenden Gespräche und eine Rückreise, über die ich noch lange nachdenken werde.
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